eastcare, 14.07.2022
Nachweis der Qualitätsanforderungen
In den hitzig geführten Diskussionen im Zusammenhang mit den neuen Zulassungsbeschränkungen gem. Art. 55a KVG (in Kraft per 1. Juli 2021, die Kantone haben bis 1. Juli 2023 Zeit für die Anpassung ihrer Regelungen) ist der im Zusammenhang stehende Art. 58g KVV zum geforderten Nachweis der Qualitätsanforderungen (in Kraft ab 1. Januar 2022) etwas in den Hintergrund gedrängt. Trotzdem lohnt sich auch ein Blick darauf, denn bei jedem Gesuch für eine Berufsausübungsbewilligung sind neu auch die zusätzlichen Fragen der Gesundheitsämter zu den Qualitätsanforderungen zu beantworten.
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass es bei beiden Artikeln den Kantonen bzw. der GDK obliegt, allfällige Massnahmen zur Vereinheitlichung der kantonalen Praxis zu treffen. Und dies geschieht leider nur unzureichend oder zögerlich – wie sonst ist es zu erklären, dass einzelne Kantone, wie beispielsweise der Kanton Basel-Stadt vorpreschen und ihre Verordnung über die Zulassung von Leistungserbringern im ambulanten Bereich voreilig und nicht abgestimmt mit anderen Kantonen in Kraft gesetzt haben. Dass Abstimmungsbedarf besteht, steht ausser Frage. Dies zeigen zahlreiche Vorstösse, wie z.B. jene des Dachverbands der Ärztenetze medswiss.net oder die parlamentarische Initiative der nationalrätlichen Gesundheitskommission, welche die neu geltende Regelung um eine Ausnahme bei unzureichender medizinischer Versorgung ergänzen will. Gerade diese ist in der Grundversorgung auch so dringend angezeigt: so wird in einer vom Verband Thurgauer Gemeinden (VTG), der Ärztegesellschaft Thurgau und dem Gesundheitsamt des Kantons Thurgau in Auftrag gegebene Situationsanalyse geortet, dass im Kanton Thurgau bald jede siebte Gemeinde ohne Arztpraxis dasteht. Eine restriktivere Zulassung der Hausärzte wird den Hausarztmangel in ländlichen Gebieten dramatisch verschärfen.
Doch kommen wir zurück zum Nachweis der Qualitätsanforderungen. Sowohl der Kanton St.Gallen als auch der Kanton Thurgau haben ihren Fragekatalog im Zusammenhang mit der Erteilung von Berufsausübungsbewilligungen für Hausärzte mit Fragen zu den neuen Qualitätsanforderungen ergänzt. Im Kanton Thurgau sind dabei folgende Fragen gelistet, welche nur mit Ja oder Nein beantwortet werden können; ein Platz für ergänzende Kommentare ist inexistent:
1. Verfügen Sie über das erforderliche qualifizierte Personal, um Ihre Leistungen nach KVG erbringen zu können?
2. Verfügen Sie über ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem?
3. Verfügen Sie über ein geeignetes internes Berichts- und Lernsystem?
4. Sind Sie einem gesamtschweizerisch einheitlichen Netzwerk zur Meldung von unerwünschten Ereignissen angeschlossen? (kann nur mit Ja beantwortet werden, insofern bereits ein solches gesamtschweizerisch einheitliches Netzwerk besteht)
5. Verfügen Sie über die Ausstattung, um an nationalen Qualitätsmessungen teilzunehmen?
6. Haben Sie sich einer zertifizierten Gemeinschaft oder Stammgemeinschaft angeschlossen (elektronisches Patientendossier)?
Das Amt für Gesundheit des Kantons Thurgau weist dabei unter anderem ergänzend darauf hin: «Eine Zulassung zur Tätigkeit zulasten der OKP kann nur erteilt werden, wenn sämtliche der vorstehenden Fragen wahrheitsgetreu mit Ja beantwortet wurden (Ausnahme Anschluss an einem gesamtschweizerisch einheitlichen Netzwerk zur Meldung von unerwünschten Ereignissen).»
Wird diese vom Kanton Thurgau gewählte Umsetzung des Artikels 58g KVV in ihrem Fragebogen nun der Aufforderung des Bundes nach einer Vereinheitlichung der kantonalen Praxis gerecht? Wird beachtet, dass je länger je mehr Praxen auch kantonsübergreifend tätig sind?
Das Bundesamt für Gesundheit schreibt hierzu in ihren FAQ zur Umsetzung der KVG-Änderung «Zulassung von Leistungserbringern» (Stand 21. Juni 2022):
Q: Ist die nähere Bestimmung der Qualitätsanforderungen nach Artikel 58g KVV den einzelnen Kantonen überlassen oder sollte eine einheitliche Handhabung angestrebt werden?
A: Es obliegt den Kantonen bzw. der GDK, allfällige Massnahmen zur Vereinheitlichung der kantonalen Praxis zu treffen. Eine solche Vereinheitlichung macht insbesondere deshalb Sinn, weil auch die Qualitätsverträge, in denen Qualitätsanforderungen für die jeweiligen Leistungsbereiche weiter konkretisiert werden, eine schweizweite Geltung und Einheitlichkeit aufweisen müssen. Die Qualitätsverträge werden vom Bundesrat genehmigt, sofern sie die gesetzlichen Vorgaben erfüllen.
Q: Wie können die Qualitätsanforderungen nach Artikel 58g KVV (insbesondere Bst. c) bei kleinen Betrieben umgesetzt werden?
A: Die Leistungserbringer erbringen unterschiedliche Leistungen. Daher können und müssen nicht alle Leistungserbringer die Qualitätsanforderungen (Bst. a-d) anlässlich der Zulassung in derselben Form erfüllen. Die Kantone verfügen über einen Ermessenspielraum in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung der Prüfung der Einhaltung der Qualitätsanforderungen bei der Beurteilung der Zulassungsgesuche. Die Art der Leistungserbringung und die Betriebsgrösse können angemessen berücksichtigt werden (vgl. Kommentar zur Änderung der KVV und der KLV, S. 24).
Q: Gemäss Artikel 58g Buchstabe b KVV müssen die Leistungserbringer über ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem (QMS) verfügen. Gibt es diesbezüglich genauere Ausführungen?
A: Mit einem QMS soll ein systematisches Qualitätsmanagement sichergestellt werden. Ein QMS beinhaltet die systematische, gezielte und geplante Herangehensweise an die Umsetzung der Qualitätsziele des Leistungserbringers und die Strukturierung, Steuerung sowie stetige Optimierung der Abläufe durch die Erfassung und Beschreibung der Aufbau- und Ablauforganisation. Mit «geeignet» ist gemeint, dass das QMS insbesondere der Grösse des Leistungserbringers und der Komplexität der Leistungserbringung angepasst sein soll (vgl. Kommentar zur Änderung der KVV und KLV, S. 18).
Allein die Sichtung der Antworten des Bundes zu den drei ersten FAQs zu den Qualitätsanforderungen nach Artikel 58g KVV und die Umsetzung des Artikels durch den Kanton Thurgau im Rahmen ihres Fragebogens lässt vermuten, dass weder grosse Anstrengungen hinlänglich Massnahmen zur Vereinheitlichung der kantonalen Praxis noch der differenzierten Beurteilung z.B. nach Betriebsgrösse bei den verschiedenen Qualitätsanforderungen gemacht werden. Erinnern wir uns, die Bewilligung wird nur erteilt, wenn sämtliche Fragen zu den Qualitätsanforderungen (Ausnahme Anschluss an einem gesamtschweizerisch einheitlichen Netzwerk zur Meldung von unerwünschten Ereignissen) mit Ja beantwortet werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Hürden für das Erlangen einer Berufsausübungsbewilligung und die Zulassung zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung von den Behörden nochmals höhergestellt wurden. Willentlich durch die Vorgaben des Bundes, aber allenfalls auch unwillentlich durch die fehlende Koordination der Kantone untereinander und/oder in fehlender Abstimmung mit dem Bund. Die von den Behörden geforderte koordinierte Versorgung durch die Gesundheitsfachpersonen scheint kein Pendant in einem koordinierten Vorgehen der Ämter bei der Umsetzung der neuen Gesetzgebungen zu finden.